Meine heutige persönliche Filmkritik:

A Quiet Place
(2018)

Dieser Film ist unerträglich! Ich bin noch nie so unruhig aufm Kinosessel umhergerutscht und -gesprungen! Die erzwungene Stille ist praktisch schmerzhaft spürbar. Das heißt aber nicht, dass der Film leise ist.

 

Klingt verworren? Zurück zum Anfang: Die Ausgangssituation ist ein Ehepaar mit drei Kindern. Die Tochter ist gehörlos, weshalb die ganze Familie Gebärdensprache beherrscht. Eine glückliche Fügung, denn die Erde befindet sich in apokalyptischer Endzeitstimmung, da die Spezies einer Art 'Tier' die Ausrottung der Menschheit vorantreibt. Die letzten Überlebenden setzen alles daran, ständig absolute Stille zu bewahren, also auch nicht zu sprechen, denn die 'Monster' verfügen über orientieren sich ausschließlich über ein herausragendes Gehör, sind ansonsten aber blind. Der Film zeigt eine Episode über ca. zwei Jahre im Alltag der Familie im Überlebenskampf. Was nach bekannter Monster-Action klingt, bekommt durch die Wortlosigkeit eine völlig andere Dimension. Natürlich spielt der Film mit Schockeffekten und Stillhalten wenn das Vieh vorbeiläuft, nur wird hier eben eine der genretypischen Grundzutaten komplett eliminiert, nämlich panisches Rumgerenne (weils Lärm macht) und hysterisches Rumgeschreie und -geheule (weils noch viel mehr Lärm macht). Dazu passt, dass in guter Manier der Alien-Filme nicht unnötig viel vom nicht-menschlichen Gegner gezeigt wird, wenn überhaupt, und bei weitem mehr Stillhalten, Ducken und Abwarten und List und Tücke beim Katz-und-Maus-Spiel als offene Konfrontation stattfindet, was grandios funktioniert. Die 'Tiere' an sich sind herrlich widerlich und abstoßend gestaltet, aber wie bei Jurassic Park hat man eher das Gefühl, wirklich ein instinktgeleitetes Tier vor sich zu haben, als ein sadistisch blutrünstiges Monster.

 

Der Film beginnt mit einer Eingangssequenz vor dem Titel, die schon mal mit einem massiven 'oha!'-Effekt aufhört. Es geht dann erzählerisch ruhig weiter, bis er an einen Punkt gelangt, an dem er doch etwas in die Langatmigkeit abdriftet. Für mein Empfinden rechtzeitig genug steigert sich die Handlungsdichte dann kontinuierlich derart an, dass die Betrachtung nach der Konditionierung durch den tendenziell banalen Mittelteil fast schon eine masochistische Freude ist. Und dann hört der Film da auf, wo man nicht perfekter den Schluss hätte setzen können. Ausnahmsweise sag ich zur Handlung sonst nichts weiter, was mir ehrlich schwer fällt, denn es wimmelt von wundervollen Situationen, Konstellationen und Kausalketten, die aber alle die Gefahr von Spoilern bergen.

 

Kamera und Schnitt sind wunderbar unaufdringlich (keinerlei Horrorfilm-Wackelkamera!), die Farben angenehm warm in vorrangig Braun- und Grüntönen gemäß der Location auf dem Land. Der Score von Marco Beltrami klingt sehr nach Jóhann Jóhannsson. Aber egal welcher Stil wen von jemand anderem eventuell inspiriert oder gar kopiert haben könnte, die Musik ist der Wahnsinn und rundet das Gesamtkunstwerk akustisch zusammen mit einem zauberhaft filigranen und stellenweise auch unangenehm verstörenden Sound Design zu einem magischen Filmgenuss ab, den ich so schon lange nicht mehr erlebt habe. Interessant und super wirkungsvoll gelungen ist hierbei, dass die Tonebene immer wieder die Perspektive zwischen den Charakteren wechselt, und so auch viel 'Unterton' transportiert wird, zu dem man sonst über die Sprache oder die Musik Zugang erhält. Grundsätzlich muss man sich ganz klar auf die Erzählweise einlassen wollen. Wen es abschreckt, dass mal ne halbe Stunde nichts gesprochen wird, und alle ständig darauf bedacht sind, ja auch kein anderes Geräusch von sich zu geben, was allen Aktionen naturgemäß eine Gemächlichkeit aufzwingt (tolle Ideen auch in Set Design und Requisite), wird zumindest in der ersten Hälfte eher befürchten, sich in einen experimentellen Kunstfilm verlaufen zu haben. Aber auch wenn es mal zur Sache geht, driftet der Film nie in Richtung Action-Streifen ab. Am ehesten einordnen würde ich ihn bei Survival-Mystery-Drama. Ja, Drama! Denn leiden und heulen liegen irgendwo irgendwie immer zwischen gruseln und erschrecken; bildet doch die drückende, angstvoll melancholische Grundstimmung immer wieder Momente voll Menschlichkeit und Hoffnung. Stellenweise kam mir der Gedanke, ob das Zusammentreffen mit dem Gegner nicht vielleicht doch manchmal sehr inszeniert auf Kommando wirkt, aber ich glaube, das wäre eine oberflächliche Betrachtung. Denn immer in dramatischen Situationen werden unvermeidlich auch mehr Geräusche verursacht (rennen, ängstliche Bewegung, Unachtsamkeit, …), und deshalb ist es filmlogisch nachvollziehbar, dass sich die 'Besuche' anschließend häufen, welche wiederum weiteren Lärm verursachen usw.

 

Ich denke, der Film polarisiert stark, und in vielen Details ist es sicherlich ein schmaler Grat in der eigenen Empfindung, ob man dies oder das gelungen, glaubwürdig und/oder ansprechend findet. Meine persönliche Empfindung hat A Quiet Place so dermaßen auf den Punkt getroffen, dass ich meine restlose Begeisterung nicht in Worte fassen kann - wobei es dafür ganz schön viele Worte geworden sind. In einer anderen Kritik habe ich eine sehr nette Beschreibung gelesen: 'Es ist fast so, als würde sich die Küchenszene in Jurassic Park auf Spielfilmlänge ausdehnen.'

 

Ich plädiere für Oscar-Nominierungen für Ton/Tonschnitt und Hauptdarstellerin Emily Blunt, und wenn ich mich ganz weit aus dem Fenster lehne auch für Score, Drehbuch und Kamera (Charlotte Bruus Christensen). Sollte der Gesamteindruck die Mitglieder der Academy genauso flashen wie mich, wäre ich auch mit 'Bester Film' einverstanden. Applaus!

Sascha Loffl - Filmemacher

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