Meine heutige persönliche Filmkritik:

Tatort: Willkommen in Hamburg 
(2013)

Ich bin nur Gelegenheits-Tatort-Gucker, aber den Einstand von Til Schweiger wollte ich natürlich gesehen haben. Da er ja ziemlich polarisiert, möchte ich vorab erwähnen, dass ich ihm neutral gegenüberstehe. Ich bin weder Schweiger-Liebhaber noch -Hasser. Von daher nehme ich in Anspruch, den Film als solches ziemlich unvoreingenommen betrachten zu können.

 

Mein Fazit: hat mir gefallen! Ein solider Krimi mit ungewohnt deutlichen Action-Elementen, aber erfreulicherweise nicht so unangenehm ausartend, wie ich nach den Pressefotos befürchtet hatte. Und dem Himmel sei Dank: Es ist gelungen, diese aufkommenden Elemente von unreflektiertem Film-Töten (Einstiegssequenz) in einer wie ich finde sehr ansprechenden Art und Weise zur Sprache zu bringen (die Befragung durch die Staatsanwältin). Ein schöner Spagat zwischen Moralkeule und 'Die waren eh nur Böse'. 

 

Vorherrschend positiv ist mir das Drehbuch aufgefallen: So viele eingängige Sprüche empfand ich bemerkenswert und vor allem humorvoll erfrischend. Dargeboten von überwiegend tollen Darstellern, wobei ich hervorheben möchten Schweigers neuer Partner, der vom Krankenbett aus Auge und Ohr ist und zum Schluss sogar noch beim Zugriff aktiv wird. Der war wirklich ein äußerst sympathischer Charakter. Theresa, das minderjährige Opfer, hat mir in ihrer tragischen Hin- und Hergerissenheit zwischen äußerlicher Coolness und angstvoller Abhängigkeit auch sehr gut gefallen. Und der eher unaufdringliche, aber nicht minder wirkungsvolle Charakter der Kollegin mit der zauberhaften Nerd-Brille (ja, dafür habe ich eine Schwäche). Wunderbar auch die kleinsten Nebenrollen gestaltet: Sie bilden überwiegend witzige Charaktere, ohne dass sie lächerlich werden (die Krankenschwester, der Miniauftritt der Verkäuferin auf der Suche nach einem Eierkocher (tolles Casting!), oder der gehbehinderte Mann im Treppenhaus nach der Schießerei in der Einstiegssequenz 'Kann ich meinen Rollstuhl wieder haben?'). Einzig das Spiel der Staatsanwältin erschien mir vor allem bei ihrer ersten Begegnung etwas overacted.

 

Technisch hat mir das Sounddesign gut gefallen (der Tinnitus-Effekt nach der Explosion im Hotel), aber vor allem die Kameraführung. Toll! Vereinzelter, aber treffsicherer Einsatz von Zeitlupe, wo passend mitreißende Handkamera ohne nervig hektisch zu wirken, und zwei tolle (gekonnt nahezu unsichtbar geschnittene) Plansequenzen: Ziemlich am Anfang wenn Schweiger dem Van hinterherhetzt, in den Theresa gezerrt wird, und am Schluss der Sprung durchs Fenster ans Seil und ein Stockwerk tiefer wieder ins Gebäude zurück. Die Kamera dabei mit rein und raus. Saugut! Das bringt mich gleich auf einen weiteren positiven Aspekt: Die Handlung und die Aktionen insgesamt waren immer haarscharf an der Grenze zu einem Punkt, an dem mancher sagen würde 'na das ist jetzt aber unglaubwürdig/doof/übertrieben/unrealistisch...' Sei es eine Gewaltszene, ein Alleingang, ein Dialog. Aber die Grenze wurde für mich nie überschritten, und das finde ich große Kunst (manchmal sicherlich auch Glück ). Das hat schon fast was von James Bond-Zauber: Aktionen, die sicherlich grenzwertig realistisch sind, aber so toll inszeniert, dass man freudig drüber lacht, aber aus ironischer Bewunderung und nicht als Auslachen. Wie eben der genannte Sprung durchs Fenster und wieder zurück, oder auch die Ermittlung vom Krankenbett aus.

 

Einzige Szene, die ich unglücklich in Bezug auf Spiel und Dialogführung fand: Gleich zu Beginn die Besprechung, als klar wird, dass Schweigers neue Kollegen ihm klar abgeneigt gegenüberstehen. Das war in 30 Sekunden so platt durchgepeitscht, dass es auch der Letzte kapiert, und dadurch ziemlich plump ('Ach lass nur, der macht's eh nicht lang'). Aber ganz klar: Lob an die Schreiberlinge für die vielen wunderbaren Dialoge, und daher habe ich diesmal nicht nur ein Lieblingszitat, sondern viele, von denen ich drei als Favoriten ausgewählt habe, weil darunter welche sind, die ganz famos selbstironisch mit Gegebenheiten aus der Filmwelt und der realen Welt spielen. 

1. 'Ich war lange genug ein Tropfen auf dem heißen Stein, da bin ich lieber ein heißer Stein geworden.' 'Nein, Du bist ein Arschloch geworden!'

2. 'Schiller? Wie der Dichter?' 'Nein Tschiller, mit T am Anfang. Ich nuschel ein bisschen.'

3. 'Was soll das? Diese Gewalt, diese Alleingänge, dieses… dieses Rumgeblute!'

               Tatort: Willkommen in Hamburg

Sascha Loffl - Filmemacher

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